07.08.2004, 17:13
Der lange Weg der Evidenz – HORMONE
Niedergelassene GynäkologInnen und die Hormontherapie in den Wechseljahren
Von Petra Kolip ( Professorin an der Uni Bremen, Zentrum für Public Health)
Bernhilde Deitermann( Sozialwissenschaftlerin , Master of Public Health)
Jens Bucksch ( Sportwissenschaftler Master of Public Health)
Im Sommer 2002 wurde die Hormonwelt erschüttert: Die Zwischenauswertung der Women`s Health Initiative ( WHI) , die die Risiken und den Nutzen der sogenannten Hormonersatztherapie im Rahmen einer prospektiven, randomisierten und kontrollierten Studie untersuchen sollte, führte zum Abbruch eines Studienzweiges. Knapp 17 000 Frauen sollten 8 Jahre lang entweder Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparate oder ein Placebo einnehmen. Erste Ergebnisse wurden für 2008 erwartet. Die Zwischenauswertung nach gut 5 Jahren zeigte jedoch, dass die Risiken den Nutzen bei weitem überwogen, so dass den teilnehmenden Frauen eine länger dauernde Einnahme nicht weiter zugemutet werden konnte. Zwar wurden in der Gruppe der Hormonanwenderinnen 5 Hüftfrakturen und 6 Kolonkarzinome je 10.000 Frauen verhindert, diesen protektiven Effekten aber standen 8 zusätzliche invasive Brustkrebserkrankungen, 8 Schlaganfälle, 7 Herzinfarkte und 8 Lungenembolien je 10 000 Hormonanwenderinnen gegenüber. Die Hoffnungen der HorminbefürworterInnen wurden damit zerschlagen, mit der Östrogen-Gestagen-Kombination ein geeignetes Medikament zur Prävention von altersbedingten Erkrankungen zur Verfügung zu haben.
In den USA wurden diese, sowie weitere Ergebnisse zum Anlass genommen, die Hormonverordnungen kritisch zu hinterfragen- und zwar in dem Wissen, dass sich die wissenschaftliche Evidenz geändert hat.
Starke Abwehrhaltung
Anders in Deutschland: Nach Bekanntwerden der Studienergebnisse wurden die Hormonhersteller schnell aktiv. Sofort wurden alle niedergelassenen GynäkologInnen vom Arbeitskreis“ Steroide in Kontrazeption und Substitution „ des Berufsverbandes der Gynäkologen mit einer Faxinformation versorgt, wie Patientinnen weiterhin vom Nutzen der Hormone überzeugt werden können. Diese Faxinformation wurde offenkundig von Jenapharm erstellt und finanziert – ein Umstand, der auch innerhalb der Zunft für viel Unmut gesorgt und letztendlich zur Auflösung des Arbeitskreises geführt hat.
Die Informationspolitik der Pharmaindustrie war aber offensichtlich erfolgreich, denn es entzündete sich in den gynäkologischen Zeitschriften ein erbitterter Streit um den weiteren Einsatz der Hormone, in dem die vorsichtigen Stimmen zunächst deutlich in der Minderzahl waren und der Eindruck entstanden ist, dass die Diskussion im Sommer 2002 von einer starken Abwehrhaltung gegenüber den neuen Erkenntnissen zur Wirkweise der Östrogen-Gestagen-Therapie gekennzeichnet war.
Diesen emotionalen Reaktionen steht eine nüchterne Bilanzierung gegenüber, wie sie etwa vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft ( AkdÄ) vorgelegt wurde. Der empfiehlt der AkdÄ den Einsatz von menopausalen Hormonpräparaten nur zur Beseitigung , bzw. Reduktion von Hitzewallungen, sowie zur Behandlung vaginaler Atrophie, nicht aber zur Prävention der Osteoporose.
Es stellt sich die Frage, inwieweit die wissenschaftliche Evidenz inzwischen ihren Weg in die Praxis gefunden hat. Um eine erste Antwort zu erhalten, wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes am Zentrum für Public Health der Universität Bremen untersucht, welche Position niedergelassene GynäkologInnen auf ihren Webseiten zur Hormonsubstitution vertreten, wie sie die Ergebnisse der WHI aufgreifen und welche Empfehlungen sie gegebenenfalls aussprechen. Der Studie lag die Annahme zugrunde, dass ein Jahr nach der Veröffentlichung der Ergebnisse rationale Argumente Eingang in ärztliche Behandlungsroutinen gefunden haben sollten!
Lediglich 24 der 97 Seiten nehmen Bezug auf die WHI., hiervon stellen nur 7 die Ergebnisse der Studie umfassend dar im Sinne einer korrekten Gegenüberstellung von Risiken und des Nutzens. Der überwiegende Teil der Praxen betont den Nutzen – die Risiken, insbesondre das Brustkrebsrisiko , werden entweder verschwiegen oder als irrelevant bewertet
.
„ Gefährdungen (Risiken), die mit der Anwendung der weiblichen Hormone verbunden sein können, erschienen über viele Jahrzehnte kein bemerkenswertes Problem. Diese Tatsache zeigt an, dass solche Gefährdungen ihrer Häufigkeit nach nicht wesentlich ins Gewicht fallen und nur an sehr großen Zahlen behandelter Patientinnen überhaupt erkennbar werden „
Unabhängig davon, ob auf die Studienergebnisse der WHI eingegangen wurde oder nicht, treffen die meisten Seiten eine Aussage zu den Einsatzmöglichkeiten der (post-)menopausalen Hormone. Die Ergebnisse der Analysen sind erschreckend: Knapp die Hälfte empfiehlt die Präparate uneingeschränkt zur Verhinderung der Osteoporose, ebenso viele zur Linderung von Wechseljahrbeschwerden, ohne dass auch nur ansatzweise Alternativen diskutiert würden. Über 40% empfehlen Hormone zur Prävention von koronaren Herzkrankheiten, fast ebenso viele als Anti-Aging-Mittel. Etwa ein Drittel ist von der Steigerung der kognitiven Funktionen durch die Hormone überzeugt, und auch zur Steigerung der Lebensqualität wird das Mittel auf jeder dritten Webseite empfohlen.
Von keinerlei Sachkenntnis beeinflusst
Die Aussagen, die die entsprechenden Empfehlungen begleiten, sind teilweise von keinerlei Sachkenntnis beeinflusst.
“ Eine Hormontherapie reduziert das Risiko für Brustkrebs anstatt es zu erhöhen“
„ Östrogene schützen vor Herzinfarkt , und erst das Fehlen dieser Stoffe führt dazu, dass Frauen überhaupt in eine Risikosituation geraten“
Ungeniert werden Hormone als Jungbrunnen ohne Risiko angeboten: „ Hebt man den Hormonspiegel einfach nur auf jugendliche Werte an, macht das den ganzen Menschen wieder jung“.
Und mit nur zynisch zu nennenden Argumenten werden die Wechseljahre als Beginn des Verfalls gekennzeichnet, der nur mit Hormonen aufzuhalten ist.
„ Auch die für die Würde der älteren Frau wichtigen geistigen Funktionen wie Konzentrationsfähigkeit, Erinnerungsvermögen (Namensgedächtnis), Reaktionsvermögen und Wachheit werden durch Östrogene verbessert. Dementsprechend bleibt auch die soziale Kompetenz der älteren Frau im täglichen Umgang mit gleichaltrigen, aber auch jüngeren Menschen bei Einsatz der fehlenden Hormone erhalten“.
Diese Perspektive wird dann auch in einem Vergleich zwischen Sophia Loren und Dürers Mutter auf die Spitze getrieben:
„ Der Frauenarzt von morgen muss interdisziplinär die Auswirkungen dieser Hormondefizite in den verschiedenartigsten Gewebeinformationen bedenken. ( Hier erscheinen die beiden Bilder: 63- Jährige MIT Hormonsubstitution = Sophia Loren; 63 Jährige Ohne= Dürers Mutter)
Aus vielen Webseiten spricht das Idealbild einer patriarchalen Arzt-Patient-Beziehung, mit dem Arzt, bzw. Ärztin auf der einen Seite als Person, die über das relevante Wissen verfügt und eine Entscheidung für die Frau trifft, und der menopausalen Frau, die sich vertrauensvoll an den Arzt/Ärztin wendet, die Empfehlungen befolgt und für ihre Folgsamkeit belohnt wird.
„ Eines ist völlig klar, die Patientinnen, die die nötige Geduld aufbringen, werden langfristig außerordentliche Vorteile durch die Hormonersatztherapie erfahren. Das Auftreten vieler Erkrankungen lässt sich vermeiden und die Lebensqualität über längere Zeit hinweg deutlich verbessern. Die Hormonersatztherapie ist einer der bedeutendsten Fortschritte der Medizin in den letzten 25 Jahren. Frauen sollten die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen!“
Die Hormone werden aggressiv an die Frau gebracht: den Verlockungen mag sich keine entziehen , und die, die es doch tun, müssen sich fast schon eine kriminelle Handlung vorwerfen lassen:
„ Vergessen Sie das Altern....Durch die Einstellung des Hormonspiegels verschwinden oder lindern sich die folgenden Beschwerden: Akne, Schlafstörungen, fast 100%ige Krebsvorsorge, Unfruchtbarkeit,(* das ist natürlich ganz wichtig! Dass man auch mit 50 oder 60 noch „fruchtbar“ ist.....) Haarausfall, Magenbeschwerden, Migräne, Schwindelanfälle, Herzbeschwerden, Depressionen und Alterserscheinungen!“
„ Hormone treiben an zu Kreativität und Höchstleistungen. Hormone machen glücklich und optimistisch. Und Hormone halten den Körper jung. „
„ Bei der heutigen hohen Lebenserwartung haben Frauen mit Beginn der Wechseljahre fast noch ihr halbes Leben vor sich; einer Frau in der Menopause eine adäquate Hormonsubstitution vorzuenthalten, grenzt deshalb an Körperverletzung....“
Leider typisch
Die Zitate sind frustrierend und leider typisch für die Mehrzahl der analysierten Seiten. Sie zeugen davon, dass die wissenschaftliche Evidenz noch lange nicht den Weg in die Praxis gefunden hat .( die Pharmavertreter waren schneller!!!)
Vielmehr wird auf einen alten Wissensstand zurückgegriffen, um die Hormone weiterhin an die Frau bringen zu können. Es finden sich Seiten weise Falschdarstellungen, die deshalb besonders problematisch sind, weil es sich um Webseiten von Ärztinnen handelt, denen vermutlich große Seriosität zugesprochen wird.
Wer geglaubt hat, es reiche, solide wissenschaftliche Studien zu veröffentlichen, um eine Veränderung in den Behandlungsroutinen zu erzielen, muss sich eines Besseren belehren lassen. Der Weg der wissenschaftlichen Evidenz in die medizinische Praxis ist lang und voller Steine, die nicht zuletzt von der pharmazeutischen Industrie geschickt platziert werden.
Auch wenn sich von den Webseiten nicht auf alle niedergelassenen GynäkologInnen verallgemeinern lässt, die Hoffnung, diejenigen , die eine Webseite unterhalten , seien untypisch, wird wohl eine trügerische sein.
Und ob sich durch die jüngst verabschiedete Leitlinie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Hormontherapie GynäkologInnen zu einer Veränderung des Verordnungsverhaltens bewegen lassen, bleibt abzuwarten. Die Industrie hat mit erheblichem Aufwand gegengesteuert und dabei große Erfolge erzielt. Gefordert sind sicherlich die Ärztekammern, die Fortbildungen – auch in den Prinzipien der Evidenzbasierten Medizin- etablieren müssen. ( Fortbildungen werden aber meist von der Pharmaindustrie gesponsert!!!)
Nachhaltige Veränderungen sind aber vermutlich nur durch Regulation , z.B. durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu erzielen, indem die Indikationen eingeschränkt werden. Die auch hier sich abzeichnenden Gegenbewegungen lassen allerdings ebenfalls zur Skepsis gemahnen.
Einstweilen kann nur jeder Internetnutzerin geraten werden, sich nicht darauf zu verlassen, dass die Webangebote von niedergelassenen ÄrztInnen von hoher Qualität sind. Sie sollten darin geschult werden, jegliche Webseite mit gesundheitsbezogenen Inhalten auf ihre Seriosität zu prüfen. Mittlerweile liegen einige Checklisten, z.B. DISCERN vor, anhand derer geschulte Laien eine erste Qualitätseinschätzung vornehmen können. Die mündige Frau ist in diesem Bereich gefragter denn je!!!
1) Für einen Überblick über die Studienlage siehe Leitlinie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Hormonersatztherapie in den Wechseljahren
www.akdae.de/35/10Hefte/82_Hormontherapie_2003_1Auflage 2)
Zu den Details des methodischen Vorgehens siehe den Abschlussbericht des Projektes > Hormontherapie in den Wechseljahren – Analyse der Webseiten von Gynäkologinnen und Gynäkologen zum Thema Wechseljahre/Hormontherapie
www.asfg.uni-bremen.de/projekte
Uli: Ich denke, es ist grundsätzlich ein mündiger Patient gefragt! Denn es ist leicht nachzuvollziehen, dass sich diese Erkenntnisse auch auf andere Fachbereiche übertragen lassen!
Uli
Niedergelassene GynäkologInnen und die Hormontherapie in den Wechseljahren
Von Petra Kolip ( Professorin an der Uni Bremen, Zentrum für Public Health)
Bernhilde Deitermann( Sozialwissenschaftlerin , Master of Public Health)
Jens Bucksch ( Sportwissenschaftler Master of Public Health)
Im Sommer 2002 wurde die Hormonwelt erschüttert: Die Zwischenauswertung der Women`s Health Initiative ( WHI) , die die Risiken und den Nutzen der sogenannten Hormonersatztherapie im Rahmen einer prospektiven, randomisierten und kontrollierten Studie untersuchen sollte, führte zum Abbruch eines Studienzweiges. Knapp 17 000 Frauen sollten 8 Jahre lang entweder Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparate oder ein Placebo einnehmen. Erste Ergebnisse wurden für 2008 erwartet. Die Zwischenauswertung nach gut 5 Jahren zeigte jedoch, dass die Risiken den Nutzen bei weitem überwogen, so dass den teilnehmenden Frauen eine länger dauernde Einnahme nicht weiter zugemutet werden konnte. Zwar wurden in der Gruppe der Hormonanwenderinnen 5 Hüftfrakturen und 6 Kolonkarzinome je 10.000 Frauen verhindert, diesen protektiven Effekten aber standen 8 zusätzliche invasive Brustkrebserkrankungen, 8 Schlaganfälle, 7 Herzinfarkte und 8 Lungenembolien je 10 000 Hormonanwenderinnen gegenüber. Die Hoffnungen der HorminbefürworterInnen wurden damit zerschlagen, mit der Östrogen-Gestagen-Kombination ein geeignetes Medikament zur Prävention von altersbedingten Erkrankungen zur Verfügung zu haben.
In den USA wurden diese, sowie weitere Ergebnisse zum Anlass genommen, die Hormonverordnungen kritisch zu hinterfragen- und zwar in dem Wissen, dass sich die wissenschaftliche Evidenz geändert hat.
Starke Abwehrhaltung
Anders in Deutschland: Nach Bekanntwerden der Studienergebnisse wurden die Hormonhersteller schnell aktiv. Sofort wurden alle niedergelassenen GynäkologInnen vom Arbeitskreis“ Steroide in Kontrazeption und Substitution „ des Berufsverbandes der Gynäkologen mit einer Faxinformation versorgt, wie Patientinnen weiterhin vom Nutzen der Hormone überzeugt werden können. Diese Faxinformation wurde offenkundig von Jenapharm erstellt und finanziert – ein Umstand, der auch innerhalb der Zunft für viel Unmut gesorgt und letztendlich zur Auflösung des Arbeitskreises geführt hat.
Die Informationspolitik der Pharmaindustrie war aber offensichtlich erfolgreich, denn es entzündete sich in den gynäkologischen Zeitschriften ein erbitterter Streit um den weiteren Einsatz der Hormone, in dem die vorsichtigen Stimmen zunächst deutlich in der Minderzahl waren und der Eindruck entstanden ist, dass die Diskussion im Sommer 2002 von einer starken Abwehrhaltung gegenüber den neuen Erkenntnissen zur Wirkweise der Östrogen-Gestagen-Therapie gekennzeichnet war.
Diesen emotionalen Reaktionen steht eine nüchterne Bilanzierung gegenüber, wie sie etwa vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft ( AkdÄ) vorgelegt wurde. Der empfiehlt der AkdÄ den Einsatz von menopausalen Hormonpräparaten nur zur Beseitigung , bzw. Reduktion von Hitzewallungen, sowie zur Behandlung vaginaler Atrophie, nicht aber zur Prävention der Osteoporose.
Es stellt sich die Frage, inwieweit die wissenschaftliche Evidenz inzwischen ihren Weg in die Praxis gefunden hat. Um eine erste Antwort zu erhalten, wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes am Zentrum für Public Health der Universität Bremen untersucht, welche Position niedergelassene GynäkologInnen auf ihren Webseiten zur Hormonsubstitution vertreten, wie sie die Ergebnisse der WHI aufgreifen und welche Empfehlungen sie gegebenenfalls aussprechen. Der Studie lag die Annahme zugrunde, dass ein Jahr nach der Veröffentlichung der Ergebnisse rationale Argumente Eingang in ärztliche Behandlungsroutinen gefunden haben sollten!
Lediglich 24 der 97 Seiten nehmen Bezug auf die WHI., hiervon stellen nur 7 die Ergebnisse der Studie umfassend dar im Sinne einer korrekten Gegenüberstellung von Risiken und des Nutzens. Der überwiegende Teil der Praxen betont den Nutzen – die Risiken, insbesondre das Brustkrebsrisiko , werden entweder verschwiegen oder als irrelevant bewertet
.
„ Gefährdungen (Risiken), die mit der Anwendung der weiblichen Hormone verbunden sein können, erschienen über viele Jahrzehnte kein bemerkenswertes Problem. Diese Tatsache zeigt an, dass solche Gefährdungen ihrer Häufigkeit nach nicht wesentlich ins Gewicht fallen und nur an sehr großen Zahlen behandelter Patientinnen überhaupt erkennbar werden „
Unabhängig davon, ob auf die Studienergebnisse der WHI eingegangen wurde oder nicht, treffen die meisten Seiten eine Aussage zu den Einsatzmöglichkeiten der (post-)menopausalen Hormone. Die Ergebnisse der Analysen sind erschreckend: Knapp die Hälfte empfiehlt die Präparate uneingeschränkt zur Verhinderung der Osteoporose, ebenso viele zur Linderung von Wechseljahrbeschwerden, ohne dass auch nur ansatzweise Alternativen diskutiert würden. Über 40% empfehlen Hormone zur Prävention von koronaren Herzkrankheiten, fast ebenso viele als Anti-Aging-Mittel. Etwa ein Drittel ist von der Steigerung der kognitiven Funktionen durch die Hormone überzeugt, und auch zur Steigerung der Lebensqualität wird das Mittel auf jeder dritten Webseite empfohlen.
Von keinerlei Sachkenntnis beeinflusst
Die Aussagen, die die entsprechenden Empfehlungen begleiten, sind teilweise von keinerlei Sachkenntnis beeinflusst.
“ Eine Hormontherapie reduziert das Risiko für Brustkrebs anstatt es zu erhöhen“
„ Östrogene schützen vor Herzinfarkt , und erst das Fehlen dieser Stoffe führt dazu, dass Frauen überhaupt in eine Risikosituation geraten“
Ungeniert werden Hormone als Jungbrunnen ohne Risiko angeboten: „ Hebt man den Hormonspiegel einfach nur auf jugendliche Werte an, macht das den ganzen Menschen wieder jung“.
Und mit nur zynisch zu nennenden Argumenten werden die Wechseljahre als Beginn des Verfalls gekennzeichnet, der nur mit Hormonen aufzuhalten ist.
„ Auch die für die Würde der älteren Frau wichtigen geistigen Funktionen wie Konzentrationsfähigkeit, Erinnerungsvermögen (Namensgedächtnis), Reaktionsvermögen und Wachheit werden durch Östrogene verbessert. Dementsprechend bleibt auch die soziale Kompetenz der älteren Frau im täglichen Umgang mit gleichaltrigen, aber auch jüngeren Menschen bei Einsatz der fehlenden Hormone erhalten“.
Diese Perspektive wird dann auch in einem Vergleich zwischen Sophia Loren und Dürers Mutter auf die Spitze getrieben:
„ Der Frauenarzt von morgen muss interdisziplinär die Auswirkungen dieser Hormondefizite in den verschiedenartigsten Gewebeinformationen bedenken. ( Hier erscheinen die beiden Bilder: 63- Jährige MIT Hormonsubstitution = Sophia Loren; 63 Jährige Ohne= Dürers Mutter)
Aus vielen Webseiten spricht das Idealbild einer patriarchalen Arzt-Patient-Beziehung, mit dem Arzt, bzw. Ärztin auf der einen Seite als Person, die über das relevante Wissen verfügt und eine Entscheidung für die Frau trifft, und der menopausalen Frau, die sich vertrauensvoll an den Arzt/Ärztin wendet, die Empfehlungen befolgt und für ihre Folgsamkeit belohnt wird.
„ Eines ist völlig klar, die Patientinnen, die die nötige Geduld aufbringen, werden langfristig außerordentliche Vorteile durch die Hormonersatztherapie erfahren. Das Auftreten vieler Erkrankungen lässt sich vermeiden und die Lebensqualität über längere Zeit hinweg deutlich verbessern. Die Hormonersatztherapie ist einer der bedeutendsten Fortschritte der Medizin in den letzten 25 Jahren. Frauen sollten die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen!“
Die Hormone werden aggressiv an die Frau gebracht: den Verlockungen mag sich keine entziehen , und die, die es doch tun, müssen sich fast schon eine kriminelle Handlung vorwerfen lassen:
„ Vergessen Sie das Altern....Durch die Einstellung des Hormonspiegels verschwinden oder lindern sich die folgenden Beschwerden: Akne, Schlafstörungen, fast 100%ige Krebsvorsorge, Unfruchtbarkeit,(* das ist natürlich ganz wichtig! Dass man auch mit 50 oder 60 noch „fruchtbar“ ist.....) Haarausfall, Magenbeschwerden, Migräne, Schwindelanfälle, Herzbeschwerden, Depressionen und Alterserscheinungen!“
„ Hormone treiben an zu Kreativität und Höchstleistungen. Hormone machen glücklich und optimistisch. Und Hormone halten den Körper jung. „
„ Bei der heutigen hohen Lebenserwartung haben Frauen mit Beginn der Wechseljahre fast noch ihr halbes Leben vor sich; einer Frau in der Menopause eine adäquate Hormonsubstitution vorzuenthalten, grenzt deshalb an Körperverletzung....“
Leider typisch
Die Zitate sind frustrierend und leider typisch für die Mehrzahl der analysierten Seiten. Sie zeugen davon, dass die wissenschaftliche Evidenz noch lange nicht den Weg in die Praxis gefunden hat .( die Pharmavertreter waren schneller!!!)
Vielmehr wird auf einen alten Wissensstand zurückgegriffen, um die Hormone weiterhin an die Frau bringen zu können. Es finden sich Seiten weise Falschdarstellungen, die deshalb besonders problematisch sind, weil es sich um Webseiten von Ärztinnen handelt, denen vermutlich große Seriosität zugesprochen wird.
Wer geglaubt hat, es reiche, solide wissenschaftliche Studien zu veröffentlichen, um eine Veränderung in den Behandlungsroutinen zu erzielen, muss sich eines Besseren belehren lassen. Der Weg der wissenschaftlichen Evidenz in die medizinische Praxis ist lang und voller Steine, die nicht zuletzt von der pharmazeutischen Industrie geschickt platziert werden.
Auch wenn sich von den Webseiten nicht auf alle niedergelassenen GynäkologInnen verallgemeinern lässt, die Hoffnung, diejenigen , die eine Webseite unterhalten , seien untypisch, wird wohl eine trügerische sein.
Und ob sich durch die jüngst verabschiedete Leitlinie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Hormontherapie GynäkologInnen zu einer Veränderung des Verordnungsverhaltens bewegen lassen, bleibt abzuwarten. Die Industrie hat mit erheblichem Aufwand gegengesteuert und dabei große Erfolge erzielt. Gefordert sind sicherlich die Ärztekammern, die Fortbildungen – auch in den Prinzipien der Evidenzbasierten Medizin- etablieren müssen. ( Fortbildungen werden aber meist von der Pharmaindustrie gesponsert!!!)
Nachhaltige Veränderungen sind aber vermutlich nur durch Regulation , z.B. durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu erzielen, indem die Indikationen eingeschränkt werden. Die auch hier sich abzeichnenden Gegenbewegungen lassen allerdings ebenfalls zur Skepsis gemahnen.
Einstweilen kann nur jeder Internetnutzerin geraten werden, sich nicht darauf zu verlassen, dass die Webangebote von niedergelassenen ÄrztInnen von hoher Qualität sind. Sie sollten darin geschult werden, jegliche Webseite mit gesundheitsbezogenen Inhalten auf ihre Seriosität zu prüfen. Mittlerweile liegen einige Checklisten, z.B. DISCERN vor, anhand derer geschulte Laien eine erste Qualitätseinschätzung vornehmen können. Die mündige Frau ist in diesem Bereich gefragter denn je!!!
1) Für einen Überblick über die Studienlage siehe Leitlinie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Hormonersatztherapie in den Wechseljahren
www.akdae.de/35/10Hefte/82_Hormontherapie_2003_1Auflage 2)
Zu den Details des methodischen Vorgehens siehe den Abschlussbericht des Projektes > Hormontherapie in den Wechseljahren – Analyse der Webseiten von Gynäkologinnen und Gynäkologen zum Thema Wechseljahre/Hormontherapie
www.asfg.uni-bremen.de/projekte
Uli: Ich denke, es ist grundsätzlich ein mündiger Patient gefragt! Denn es ist leicht nachzuvollziehen, dass sich diese Erkenntnisse auch auf andere Fachbereiche übertragen lassen!
Uli