14.08.2004, 10:22
Teil-Frauen. Ein weiteres Beispiel, welche Folgen die Schaffung neuer Krankheiten samt dazu passender Therapie haben kann, ist die Hormonersatztherapie. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts hatte sich die Sichtweise etabliert, Frauen nach der Menopause würden mit ihrer Fruchtbarkeit auch ihre Weiblichkeit einbüßen – dürften nicht mehr als „vollständige“, sondern nur noch als „Teil-Frauen“ gelten, wie es der New Yorker Gynäkologe Robert Wilson in den sechziger Jahren formulierte. In seinen – vom Hormonersatzhersteller Wyeth Ayerst finanziell unterstützten – Artikeln pries er die Vorteile einer Östrogenversorgung „von der Wiege bis zur Bahre“. Und legte damit den Grundstein für die Hormonersatztherapie.
40 Jahre später stehen Experten vor einem veritablen Desaster der Medizingeschichte. Wie sich bei den ersten fundierten Studien zu der Therapie zeigte, die mittlerweile Millionen von Frauen über Jahrzehnte verschrieben wurde, blieben nicht nur die meisten erwarteten Wirkungen aus, vielmehr kam es teils auch zu dramatischen Nebenwirkungen.
Dabei war der Einsatz von Hormonen durchaus ausführlich diskutiert worden. Vor allem so genannte Konsens-Konferenzen hatten für die Festlegung von Richtlinien zur „besten Behandlung“ gesorgt. Die Crux dabei: Bei diesen Treffen hochrangiger Experten überzeugen nicht unbedingt die besten Daten, sondern oft die durchsetzungsfähigsten Redner.
sFehlersuche. Nun wollen Forscher mit dieser „Eminenz“-basierten Wissenschaft aufräumen und sie durch eine Evidenz-basierte ersetzen – also eine Denkschule, die sich ausschließlich auf nüchterne Beweise verlässt. Bereits in den siebziger Jahren hatte der britische Epidemiologe Archie Cochrane damit begonnen, die Aussagekraft von medizinischen Arbeiten zu überprüfen, indem er alle zum Thema verfügbaren Studien, Leitlinien und anderen Quellen zu gängigen Behandlungsverfahren akribisch durchforstete. Nach Cochranes Vorbild werden nun schlecht durchgeführte Studien aussortiert und unplausible Ergebnisse hinterfragt.
In immer mehr Ländern entstehen seither Zentren der Evidenz-basierten Medizin (EBM), die sich dieser mühevollen Aufgabe verschreiben. „Wir möchten so etwas wie ein demokratisches Prinzip in den Meinungsbildungsprozess einbringen“, erklärt Jürgen Windeler vom Deutschen Netzwerk EBM.
Die bisher vorliegenden EBM-Analysen stellen denn auch einige der gängigsten Gesundheitsmythen infrage: Mammografie zum Brustkrebs-Screening? Laut einer Studie des Direktors der dänischen Cochrane-Collaboration, Peter Gøtzsche, zeigen die bisher zum Thema publizierten Studien nicht, dass deshalb wirklich weniger Frauen an Brustkrebs sterben.
Wer wiederum schon im Herbst damit beginnt, Hochdosis-Vitamin-C zur Erkältungsvorbeugung einzunehmen, könnte sich das Geld sparen: Die Vitaminbomben helfen offenbar nicht. Auch wenn der Schnupfen bereits zugeschlagen hat, scheint der Effekt der Ascorbinsäure nicht überwältigend zu sein: Knapp einen halben Tag rinnende Nase spart man sich bestenfalls.
Oder die routinemäßigen Ultraschalluntersuchungen in der späten Schwangerschaft: Bei normal verlaufenden Schwangerschaften fanden EBM-Forscher keinen Unterschied in Bezug auf Komplikationsraten oder die Sterblichkeit von Frauen und ihren Babys – egal, ob es nach der 24. Woche Ultraschallanalysen gegeben hatte oder nicht.
Dass die EBM-Untersuchungen oft mehr Wissenslücken aufzeigen, als definitive Antworten zu bringen, unterstreicht, dass die Forschung noch immer von letztgültigen Wahrheiten entfernt ist. Die könne man aber ohnehin nie erwarten, meint Ulrike Felt von der Universität Wien. „Wissenschaft ist im Fluss. Sie hat nie bleibende Antworten geliefert und wird dies auch nie tun“, glaubt die Wissenschaftstheoretikerin.
Umso unverständlicher sind deshalb die fast sektiererischen Züge, die Empfehlungen und Lebensregeln oft annehmen. Sozialmediziner Dieter Borgers: „Diese Einteilung in gut und böse, gesund und ungesund ist eine Mickymaus-Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert."
40 Jahre später stehen Experten vor einem veritablen Desaster der Medizingeschichte. Wie sich bei den ersten fundierten Studien zu der Therapie zeigte, die mittlerweile Millionen von Frauen über Jahrzehnte verschrieben wurde, blieben nicht nur die meisten erwarteten Wirkungen aus, vielmehr kam es teils auch zu dramatischen Nebenwirkungen.
Dabei war der Einsatz von Hormonen durchaus ausführlich diskutiert worden. Vor allem so genannte Konsens-Konferenzen hatten für die Festlegung von Richtlinien zur „besten Behandlung“ gesorgt. Die Crux dabei: Bei diesen Treffen hochrangiger Experten überzeugen nicht unbedingt die besten Daten, sondern oft die durchsetzungsfähigsten Redner.
sFehlersuche. Nun wollen Forscher mit dieser „Eminenz“-basierten Wissenschaft aufräumen und sie durch eine Evidenz-basierte ersetzen – also eine Denkschule, die sich ausschließlich auf nüchterne Beweise verlässt. Bereits in den siebziger Jahren hatte der britische Epidemiologe Archie Cochrane damit begonnen, die Aussagekraft von medizinischen Arbeiten zu überprüfen, indem er alle zum Thema verfügbaren Studien, Leitlinien und anderen Quellen zu gängigen Behandlungsverfahren akribisch durchforstete. Nach Cochranes Vorbild werden nun schlecht durchgeführte Studien aussortiert und unplausible Ergebnisse hinterfragt.
In immer mehr Ländern entstehen seither Zentren der Evidenz-basierten Medizin (EBM), die sich dieser mühevollen Aufgabe verschreiben. „Wir möchten so etwas wie ein demokratisches Prinzip in den Meinungsbildungsprozess einbringen“, erklärt Jürgen Windeler vom Deutschen Netzwerk EBM.
Die bisher vorliegenden EBM-Analysen stellen denn auch einige der gängigsten Gesundheitsmythen infrage: Mammografie zum Brustkrebs-Screening? Laut einer Studie des Direktors der dänischen Cochrane-Collaboration, Peter Gøtzsche, zeigen die bisher zum Thema publizierten Studien nicht, dass deshalb wirklich weniger Frauen an Brustkrebs sterben.
Wer wiederum schon im Herbst damit beginnt, Hochdosis-Vitamin-C zur Erkältungsvorbeugung einzunehmen, könnte sich das Geld sparen: Die Vitaminbomben helfen offenbar nicht. Auch wenn der Schnupfen bereits zugeschlagen hat, scheint der Effekt der Ascorbinsäure nicht überwältigend zu sein: Knapp einen halben Tag rinnende Nase spart man sich bestenfalls.
Oder die routinemäßigen Ultraschalluntersuchungen in der späten Schwangerschaft: Bei normal verlaufenden Schwangerschaften fanden EBM-Forscher keinen Unterschied in Bezug auf Komplikationsraten oder die Sterblichkeit von Frauen und ihren Babys – egal, ob es nach der 24. Woche Ultraschallanalysen gegeben hatte oder nicht.
Dass die EBM-Untersuchungen oft mehr Wissenslücken aufzeigen, als definitive Antworten zu bringen, unterstreicht, dass die Forschung noch immer von letztgültigen Wahrheiten entfernt ist. Die könne man aber ohnehin nie erwarten, meint Ulrike Felt von der Universität Wien. „Wissenschaft ist im Fluss. Sie hat nie bleibende Antworten geliefert und wird dies auch nie tun“, glaubt die Wissenschaftstheoretikerin.
Umso unverständlicher sind deshalb die fast sektiererischen Züge, die Empfehlungen und Lebensregeln oft annehmen. Sozialmediziner Dieter Borgers: „Diese Einteilung in gut und böse, gesund und ungesund ist eine Mickymaus-Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert."
Wenn du dich über andere Mitmenschen ärgerst, dann sage dir "sie sind nur zu meiner Unterhaltung da"...