23.05.2005, 21:45
Mal wieder "Die Zeit"
Zitat: DIE ZEIT 19.05.2005 Nr.21
Pharmaindustrie
Geben und einnehmen
Selbsthilfegruppen sind für Schwerkranke ein letzter Halt – dabei arbeiten sie oft mit Pharmakonzernen zusammen und riskieren ihre Glaubwürdigkeit
Von Martina Keller
[...] Mit einer klassischen Selbsthilfegruppe hat die Initiative allerdings wenig gemeinsam. Breast Health macht Politik, insbesondere für neue Medikamente. Der wichtigste Bündnispartner der Gruppe ist die Pharmaindustrie. [...] Für manche Gruppen gilt, was Rita Rosa Martin über Breast Health sagt: »Ohne die Pharmaindustrie gäbe es uns nicht.« [...]
Der Pharmabranche sind solche Kooperationen einiges wert. Lilly unterstützt alle größeren ADS-Gruppen projektbezogen mit Spenden. Zur Gründung des Hamburger Arbeitskreises ADS/ADHS gab der Konzern 40.000 Euro: Die von Lilly beauftragte PR-Agentur Gianni & Meissner aus Frankfurt half, die Ziele der Initiative zu formulieren, organisierte den Auftakt in einem Hamburger Hotel bei gutem Essen und konzipierte einen Leitfaden, der an Eltern und Lehrer verteilt wird. [...]
Die Pharmaindustrie plant die Unterwanderung der Patientengruppen geradezu generalstabsmäßig, [...] Der »Schlachtplan« des britischen Pharmaverbands sieht demnach vor, »Fußtruppen aus Selbsthilfegruppen, wohlgesonnener Öffentlichkeit und Mitarbeitern des Gesundheitssystems einzusetzen«. [...]
Dafür erleben Patienteninitiativen einen Aufschwung, von deren Krankheit und Leid die Welt noch wenig gehört hat. Mit so genannten Disease-Awareness-Kampagnen bereitet die Pharmaindustrie das Feld, wenn sie die Einführung neuer Medikamente plant. Die Kampagnen sollen die Öffentlichkeit über die zu den Arzneien gehörigen Krankheitsbilder informieren. [...]
Findige Agenturen helfen der Branche, das Marketing über Patientengruppen zu perfektionieren. Deren Methoden sind nicht immer sauber. Werbespezialist Dirk Krischenowski spricht auf seiner Website www.medical-communities.de von »Guerilla-Marketing«. Dieses sei so ausgerichtet, »dass es, selbst wenn es sich am Rande der Legalität oder guten Sitten bewegt, kaum nachhaltigen Schaden für das Unternehmen anrichtet, wenn es auffliegt oder enttarnt wird«. Ein beliebtes Marketing-Tool sei beispielsweise, als angeblich Betroffener in viel besuchten Internet-Patientenforen mitzumischen, wie sie Selbsthilfegruppen anbieten. »Da Sie als Unternehmen hier zeitlich schnell überfordert sind, als nur vermeintlicher Patient eher plump diskutieren und wahrscheinlich von den anderen Diskussionsteilnehmern … bald als Nicht-Patient entlarvt werden, sollten Sie so etwas an eine Agentur, die … sich mit so etwas auskennt, auslagern«, rät der Autor. Ein fingiertes Beispiel, wie man sich die Anonymität im Netz zunutze machen kann, liefert er gleich mit: »Hallo Leute, habe gerade gelesen, dass Firma xyz ein neues Blutzuckermessgerät testet und dazu kostenlose Geräte ausgibt, wenn man einen anderen Diabetiker wirbt. Die Stäbchen gibt’s auch dazu. Ich hab’s unter www.xyz.com gefunden.«
Bei so viel Finesse ist es für Patientengruppen nicht leicht, sich gegen Vereinnahmung zu schützen. Die Industrie beschäftigt hoch bezahlte Marketingprofis, die Initiativen leisten einen Großteil ihrer Arbeit ehrenamtlich. Die Industrie plant ihre Strategie mit langem Atem, die Gruppen kämpfen jedes Jahr neu um ihre Finanzierung. Dabei sind die Ansprüche an ihre Arbeit enorm gestiegen. Viele der ratsuchenden Patienten haben sich dank Internet einen beachtlichen Informationsstand erarbeitet. Doch wird die Orientierung im Dschungel der Online-Angebote auch immer schwieriger. [...]
Der Branche sind Selbsthilfegruppen mittlerweile so wichtig, dass sie selbst welche gründet, wenn es zu einem Krankheitsbild noch keine gibt. [...]
Gemeinsam mit Transparency entwarfen die Gruppen einen Vorschlag für Sponsorenrichtlinien und planten, die Koalition Brustkrebs nach Ablauf des Roche-Sponsorings in eine unabhängige Stiftung zu überführen. Doch die Koalition zerbrach am Sponsoring, die Gruppen waren am Ende zerstritten. Seither gibt es die pharmaunabhängige Stiftung Koalition Brustkrebs, von der man in der Öffentlichkeit allerdings kaum etwas hört, und die pharmagesponserte Organisation Pink, die von den übrigen Initiativen gegründet wurde. Die Pink-Gruppen entfalteten innerhalb kurzer Zeit mehr öffentliches Aufsehen als die altgediente »Frauenselbsthilfe nach Krebs« in Jahrzehnten. Insbesondere die Augsburger Gruppe Mamazone tut sich mit medienwirksamen Aktionen hervor. [...]
Mit auffällig professionellen Methoden hat die Gruppe beim Thema Brustkrebs die öffentliche Meinungsführerschaft erobert. Wie sehr die Pharmaindustrie dabei mitgeholfen hat, ist unklar. Nach Angaben von Mamazone machten Mittel der Pharmakonzerne 2003 weniger als zehn Prozent des Gesamtetats von 100.000 Euro aus. Dem widerspricht die Auskunft des Konzerns Hoffmann-La Roche. Hans-Ulrich Jelitto, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, teilte der ZEIT auf Anfrage mit: »Wir stellen Mamazone jährlich eine Summe von 40.000 Euro als nicht zweckgebundene Spende zur Verfügung« – also fast die Hälfte des Budgets. In jedem Fall vertritt Mamazone die Kooperation mit der Pharmaindustrie offensiv. »Dass mündige Patientinnen und Arzneimittelhersteller Joint-Venture-Aktivitäten zum gemeinsamen Nutzen ergreifen können …, scheint hierzulande noch unvorstellbar«, attackiert Ursula Goldmann-Posch auf der Website die Kritiker von Mamazone. [...]
Unterdessen sponsert die Pharmabranche Patientenveranstaltungen nach ihrem Geschmack. [...]
[>> mehr]
Zitat:
Interview
Bloß keine Abhängigkeiten!
Selbsthilfegruppen von Patienten sollen offen legen, von wem sie Geld erhalten. Dies fordert Arne Schäffler von Transparency International
[>>mehr]
Womit wir es oft zu tun haben?
Mit "Leidenden, die es sich selbst nicht eingestehen wollen, was sie sind, mit Betäubten und Besinnungslosen, die nur eins fürchten: zum Bewußtsein zu kommen." (Nietzsche 1887)
Mit "Leidenden, die es sich selbst nicht eingestehen wollen, was sie sind, mit Betäubten und Besinnungslosen, die nur eins fürchten: zum Bewußtsein zu kommen." (Nietzsche 1887)