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Alternativ-Diagnosen nicht besser als der Zufall
#1
SPIEGEL ONLINE - 30. November 2005, 12:42
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensc...30,00.html
Allergien

Alternativ-Diagnosen nicht besser als der Zufall

Von Jochen Kubitschek
Alternative Diagnoseverfahren für Allergiker werden in einer neuen Untersuchung als gefährliche Irrlehren bezeichnet. Verfahren wie Haaranalyse, Irisdiagnose und Pendeln seien so treffsicher wie der Zufall, betont ein international anerkannter Experte.
Wenn im Frühjahr die ersten Bäume und Büsche anfangen zu blühen, beginnt für Zehntausende Pollenallergiker eine qualvolle Zeit: Über viele Wochen tropfen ihre Nasen und brennen ihre Augen. Die Leidenden sind dann geradezu ideale Opfer für Scharlatane und Beutelschneider, die ihnen über das Internet schnelle und unkomplizierte Linderung versprechen.
In den letzten Jahren werden in diesem Zusammenhang auch die bis zu 100 Euro teuren Haaranalysen angeboten, die angeblich in der Lage sein sollen, auch bisher nicht dingfest gemachte Ursachen von Allergien zu enttarnen. Der Vertrieb der gewinnträchtigen Haaranalysen, nach Meinung von Experten völlig ungeeignet zur Allergiediagnose, erfolgt oft über Apotheken, die versuchen, ihren Kunden das Diagnose-Verfahren aufzuschwatzen.

Allergie-Fachleute warnen vor solcher Bauernfängerei. Der Allergologe Herbert Riechelmann von der HNO-Klinik der Universität Ulm bringt die von den Experten allgemein geteilte Meinung auf den Punkt: "Bei den Empfehlungen zur alternativen Allergiediagnostik und -therapie handelt es sich lediglich um Geldschinderei."

Edzard Ernst, Professor für komplementäre Medizin an der britischen University of Plymouth, hat die bisher am besten erforschten alternativen Diagnoseverfahren jetzt wissenschaftlich bewertet. Dazu gehören Haaranalysen, Irisdiagnostik, traditionelle chinesische Pulsdiagnostik, angewandte Kinesiologie, Kirlian-Fotografie sowie das Pendeln.

Bei der Analyse der vorhandenen Daten kam Ernst zu dem Ergebnis, dass bei keiner der bisher wissenschaftlich untersuchten alternativen Diagnosemethoden ein überzeugender Nachweis der Wirksamkeit erbracht werden konnte. "Die Mehrzahl der Studien spricht im Gegenteil sogar gegen den Wert der Verfahren", schreibt Ernst im "Deutschen Ärzteblatt". Er warnt aufgrund der nicht vermeidbaren falsch positiven und negativen Ergebnisse generell vor der Anwendung der Diagnoseverfahren.

Schlimmste Befürchtungen bestätigt

Als typisches Beispiel für die mangelhafte Treffsicherheit dieser Diagnoseverfahren führt Ernst unter anderem eine Studie von US-Forschern über die Aussagekraft von Haaranalysen an. Diese hatten einer einzelnen Person Haarproben entnommen und an sechs Speziallabors geschickt, die sich auf Haaranalysen spezialisiert hatten. Die Ergebnisse der Analysen bestätigten die Befürchtungen der Skeptiker: Eine sinnvolle Übereinstimmung der Untersuchungsbefunde konnte nicht festgestellt werden.

Doch andere alternative Diagnoseverfahren wie das Pendeln sind nicht besser: So ergaben auch wissenschaftliche Untersuchungen, die unter Teilnahme von Anhängern der Methode durchgeführt wurden, lediglich Ergebnisse von der Treffsicherheit des puren Zufalls. Dessen ungeachtet erfreut sich das Pendeln aufgrund der minimalen apparativen und intellektuellen Voraussetzungen insbesondere in der Esoterik-Szene großer Beliebtheit. Der angebliche Heilerfolg wird dort gern mit "göttlicher Fügung" erklärt.

Doch nicht nur naive Anfänger pendeln auf Teufel komm raus, sondern auch gestandene Praktiker: Ernst zitiert in seiner Untersuchung eine kontrollierte Studie, bei der sechs erfahrene Homöopathen durch Auspendeln 156 Mal versucht hatten, zwischen einem homöopathischen Medikament und einem Placebo zu unterscheiden. "Die Ergebnisse zeigten, dass die Treffsicherheit des Pendelns der des Zufalls nicht überlegen ist", meint Ernst lapidar.

Schuld ist Wunschdenken der Patienten

Ähnlich ernüchternd fielen die Ergebnisse von Studien aus, die sich mit der Wirksamkeit der Kirlian-Fotografie, der angewandten Kinesiologie, der Irisdiagnostik sowie der traditionellen chinesische Medizin beschäftigt hatten. Bei der chinesischen Pulsdiagnose etwa konnte bis heute kein Beweis für eine dem Zufall überlegene Treffsicherheit und Wiederholbarkeit der Ergebnisse erbracht werden. Die chinesische Pulsdiagnostik müsse daher - so betonte Ernst - als nicht bewiesen eingestuft werden.

Da die wissenschaftliche Seriosität der bewerteten Diagnoseverfahren in etwa derjenigen des mittelalterlichen Teufels- und Hexenglaubens entspricht, erklärt Alternativmediziner Ernst die ungebrochene Beliebtheit in der Bevölkerung so: "Dass viele dieser Verfahren weit verbreitet sind, mag am Wunschdenken der Patienten und an der Überzeugungskraft vieler Anbieter liegen."

Ernst bestätigt damit eine Beobachtung, die George Bernhard Shaw schon vor über hundert Jahren gemacht hatte: "Wenn wir etwas wirklich glauben wollen, sehen wir plötzlich alle Argumente, die dafür sprechen und werden blind für die Argumente dagegen."

Uli
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