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Nachdenken...
#1
[QUOTE]23. APRIL 2008, 12:11 UHR
TÖDLICHE GIER
Wie Börsen-Zocker die Lebensmittelpreise befeuern
Von Beat Balzli und Frank Hornig
Spekulation auf Kosten der Armen: Hedgefonds und Kleinanleger pumpen gewaltige Geldmengen in die internationalen Rohstoffbörsen. Das treibt die Preise für Weizen oder Reis immer weiter in die Höhe - und sorgt weltweit für Hunger.
Es ist nicht lange her, da hat Dwight Anderson die Presse noch mit weit geöffneten Armen und jovial aufbereiteten Anekdoten empfangen. Er erzählte Geschichten aus seiner Welt. Der Welt des großen Geldes.
Freimütig schwärmte der New Yorker Hedgefonds-Manager erst im vergangenen Oktober von seinen Besuchen auf Palmölplantagen in Malaysia und bei brasilianischen Getreidebauern: "Man konnte deutlich sehen, wie sich das Angebot verknappt."
Schon im Sommer 2006 pries Anderson die kommende "außergewöhnliche Rentabilität" von Ackerfrüchten - ganz egal, ob Mais oder Sojabohnen. Aus seiner Sicht verbarg sich hinter dem weltweit wachsenden Hunger bereits damals ein tolles Geschäft. Ein todsicheres.
Mehrere Dutzend seiner Mitarbeiter durchstreifen in seinem Auftrag die Anbaugebiete der Welt, immer auf der Suche nach neuen Investitionsgelegenheiten. Zurück in New York, am Firmensitz hoch über der Park Avenue im 27. Stock eines Bürogebäudes, wetten sie dann auf Agrarmärkte von Peru bis Vietnam.
Hier oben in den zerklüfteten Gipfeln Manhattans verliert man leicht die Bodenhaftung. Gerade erst ließ sich der Hedgefonds-Manager John Paulson für einen neuen Rekordgewinn feiern: 3,7 Milliarden Dollar - in einem Jahr. In dieser Sphäre gibt es nur eine Sorge: die renditehungrigen Anleger zu enttäuschen.
"Ich lebe dauernd unter Strom", sagte Anderson gern. Unter Kollegen wird er als "Rohstoffkönig" gefeiert und sein Hedgefonds Ospraie ist weltweit der größte der Branche. Aber er meidet die Medien mittlerweile. Fotos vom König dürfen auch nicht mehr gedruckt werden. Der milliardenschwere Fonds hat sie einfach vom Markt gekauft. Auch Andersons Sprecher wird neuerdings vor allem fürs Schweigen bezahlt.
Dabei gibt es Fragen genug. Vor allem Fragen der Moral; Fragen über die Verantwortung internationaler Investoren für die globale Lebensmittelpreiskrise. Nicht nur: Profitieren sie vom Hunger in Honduras, auf den Philippinen oder in Bangladesch? Sondern auch: Befeuern sie diesen aktuellen Notstand mit ihren Börsengeschäften womöglich?
Tag für Tag verschärft sich die Lage. Indonesien verhängte, wie zuvor schon Indien und Vietnam, einen Ausfuhrstopp für einfachen Reis. In Nordkorea steht laut Vereinten Nationen bereits eine humanitäre Krise bevor. Nach Unruhen von Bangladesch bis Usbekistan gingen am vergangenen Donnerstag auch Tausende Südafrikaner in Johannesburg auf die Straße, um gegen die hohen Lebensmittelpreise zu protestieren. In Haiti wurde nach Ausschreitungen der Ministerpräsident gefeuert.
Spätestens zum 1. Mai müssen 500 Millionen Dollar an Soforthilfe bereitstehen, verlangt die Uno - sonst drohen schlimme Hungersnöte. Bei der Unesco legten Agrarwissenschaftler zeitgleich einen Bericht über die dramatische Welternährungslage vor.
Studien wie diese passen bestens ins Bild, wenn Rohstoffhändler, Fondsmanager und Analysten dieser Tage die Preisexplosionen auf den Lebensmittelmärkten begutachten. Die Getreidelager sind beinahe leer, während gleichzeitig die Weltbevölkerung wächst, der Wohlstand steigt und damit die Nachfrage nach oben schnellt.
Futtermais wird knapp, weil die Industriestaaten damit Biokraftstoffe erzeugen. Auf die Weizenernte hatten Dürren etwa in Australien verheerende Folgen. Zurzeit reichen die Weltvorräte nur noch für rund 60 Tage.
All das hilft, die Kursrallye seit Anfang 2006 zu erklären: Reis plus 217 Prozent, Weizen plus 136 Prozent, Mais plus 125 Prozent, Sojabohnen plus 107 Prozent.
Trotzdem liefert die klassische Angebots- und Nachfragetheorie nur einen Teil der Wahrheit. Hedgefonds, Indexfonds, Pensionskassen, Investmentbanken: Sie alle trifft nun eine Mitschuld für den verhängnisvollen Kursanstieg. Denn spekuliert wird längst nicht mehr nur auf Klassiker wie Öl und Gold, sondern auf alles, was essbar ist und an der Terminbörse in Chicago gehandelt wird. Egal, ob Weizen, Orangen oder Schweinebäuche - für alles gibt es Terminverträge.
Mit diesen sogenannten Futures können Bauern von jeher ihre Ernte frühzeitig verkaufen - Menge, Preis und Liefertermin lassen sich fest vereinbaren, selbst wenn die Ähren noch im Wind auf dem Acker wehen. Landwirte und Getreidegroßhändler sichern sich so traditionell gegen Wetterunbill und allzu große Preisschwankungen ab.
Diesen Mechanismus machen sich nun Spekulanten zunutze: Sie kaufen solche Lieferscheine etwa für Weizen günstig ein und wetten auf einen Preisanstieg. Wenn das Getreide dann am vereinbarten Liefertag tatsächlich teurer ist, machen sie Kasse.
Mittlerweile sieht es für Fachleute so aus, als hätten Finanzinvestoren kurzerhand gleich den gesamten Markt gekapert. Sie kaufen wie wild Futures und treiben die Preise kurzfristig weiter in die Höhe. So verdoppelte sich etwa der Preis für Reis seit vergangenem August - auch für die 500.000 Tonnen, die die Philippinen in ihrer Not Anfang Mai kaufen wollen.
Greg Wagner arbeitet seit über zwei Jahrzehnten im Getreidehandel. Sein Büro liegt nur einen Block von der Terminbörse Chicago entfernt. Was dort derzeit etwa beim Weizen passiert, hat der Analyst der Firma AgResource noch nicht gesehen.
"Normalerweise haben wir hier eine überschaubare Gruppe von Verkäufern und Käufern, also von Farmern und Silobetreibern", sagt er. Mit dem Zustrom großer Indexfonds hat sich das geändert. Die Finanzmanager raffen, was sie an Terminkontrakten kriegen können. Folge: "Die Preise klettern immer höher und höher", sagt Wagner.
Inzwischen, so hat er errechnet, halten die Finanzinvestoren die Rechte an zwei kompletten Jahresproduktionen der in Chicago gehandelten Weizensorte "Soft Red Winter Wheat".
Wagner wirkt darüber immer noch ziemlich fassungslos. Der Kapitalismus frisst sich förmlich selbst auf.
Selbst die zuständige US-Aufsichtsbehörde hat die Brisanz des Themas schon erkannt. Für eine Anhörung am vergangenen Dienstag in Washington D.C. hat die Commodity Futures Trading Commission Vertreter von Goldman Sachs bis zu Anlageriesen wie Pimco und AIG geladen. Ganz oben auf der Tagesordnung: die Rolle von Spekulanten.
Von der Knappheit profitieren
Einfache Marktgesetze, so scheint es, funktionieren nicht mehr. "Der riesige Kapitalzufluss hat inzwischen dazu geführt, dass die Terminmärkte Angebot und Nachfrage nicht mehr widerspiegeln", sagt Todd Kemp vom amerikanischen Getreide- und Futterverband. Und am wildesten wetten die Investoren ausgerechnet mit den Grundnahrungsmitteln. Dass am anderen Ende der Welt Versorgungsengpässe und Hungertote die Folge sein können, ist auf ihren Kurszetteln nicht vermerkt.
Die Finanzmanager wollen eben "von der Knappheit dieser Güter profitieren", stellt Rohstoffhändler Christoph Eibl nüchtern fest. Seine Investmentfirma Tiberius verwaltet eine Milliarde Euro. Hundert Milliarden Dollar, haben die Tiberius-Experten errechnet, sind in den vergangenen fünf Jahren in die Terminbörsen geflossen, oft in Agrarrohstoffe.
Das Ganze werde zu einer "ethischen Diskussion", räumt selbst Eibl ein. Der Kauf von Terminkontrakten etwa für Reis verteuere "im Endeffekt auch die Konsumentenpreise in Schwellenländern wie Haiti".
Solche Stimmen jedoch sind bislang selten. Einen vergleichbaren Rohstoff-Boom hat es zuvor schließlich wohl noch nie gegeben. Schon ist von einem "Super-Zyklus" die Rede, von einer ständig steigenden Nachfrage der Chinesen; und von Bauern, die auch langfristig nicht hinterherkommen mit dem Säen und Ernten. Schließlich sind die Anbauflächen ja begrenzt.
Die Folge: Auch immer mehr Kleinanleger fiebern mit. Viele setzen, nicht anders als Hedgefonds-Manager, auf Diversifizierung im Depot, jetzt eben mit Rohstoffen aus der Landwirtschaft - kurstreibende Missernten sind da nur gut fürs Geschäft. Dass sie mit ihrem Einsatz im Casino Global den Ärmsten der Welt womöglich das täglich Brot verwetten, ist vielen der Jongleure egal - oder nicht einmal bewusst.
Andreas Grünewald ist unter deutschen Kleinanlegern ein Star. Sein Münchner Investment Club (MIC) begann 1989 mit gerade mal rund 15.000 Euro, zusammengelegt von acht Schulkameraden und seinem Opa. Inzwischen verwaltet Diplomkaufmann Grünewald für 2500 MIC-Mitglieder über 50 Millionen Euro.
Rohstoffe sind für ihn das ganz große Thema. "Sie sind der Megatrend des Jahrzehnts", sagt er. Rund 15 Millionen Euro ist sein Portfolio in diesem Sektor schon wert. Und das soll erst der Anfang sein.
Insbesondere bei Wasser und Agrarrohstoffen will man "breit investiert bleiben" und "wenn möglich ausbauen". Auf Orangen, Zucker und Mais hat Grünewald an den Terminbörsen bereits Einsätze plaziert. Allein seine Weizenwette brachte bislang einen Profit von satten 93 Prozent.
Auch seinen nächsten Schritt hat er schon geplant. "Reis ist ein weiteres interessantes Thema, das eine sinnvolle Ergänzung in unserem Depot sein könnte", sagt er. Skrupel kennt man im Club kaum.
"Die meisten unserer Mitglieder sind eher passiv und renditeorientiert", gibt Grünewald offen zu. Auf den bundesweiten Veranstaltungen kämen nur vereinzelt Fragen zu den sozialen Folgen der Investmenttipps. Unruhen wegen explodierender Reispreise? Alarmstimmung bei den Hilfswerken? Die Hoflieferanten und Gewinnapostel der Kleinanlegerfraktion muss das nicht kümmern. Die Finanzindustrie wirft für jedes Modethema ein Produkt auf den Markt - sei es noch so fragwürdig.
Allen voran punktet in diesen Tagen der Finanzgigant ABN Amro. Der Anbieter von Rohstoffprodukten für Privatanleger offeriert als einzige Bank seit Anfang März ein Zertifikat, mit dem man auch als Kleinstanleger an der Terminbörse in Chicago auf steigende Reispreise setzen kann.
Antworten
#2
Die Marketingabteilung reagiert kalt und präzise auf die Hungerschlagzeilen. Ende vorvergangener Woche warnten Experten vor einer Hungersnot und politischer Instabilität. Prompt warb daraufhin ABN Amro vergangenen Montag auf seiner Internetseite für ihr Papier. "Während Indien bereits ein Exportverbot von Reis verhängt hat, sinken die weltweiten Reisvorräte auf ein Minimum", texteten die Banker. Die ABN Amro mache es nun "erstmals möglich, an dem Nahrungsmittel Nr. 1 in Asien zu partizipieren".


Leben die Banker tatsächlich das Klischee der skrupellosen Rechner in Nadelstreifen? "Wir sind uns über die aktuellen Diskussionen in Bezug auf Agrarrohstoffe im Klaren", weicht Önder Ciftci aus, bei ABN Amro Chef des deutschen Zertifikategeschäfts. Eine ethische Diskussion will er nicht führen. "Wir bauen Bohrmaschinen, bohren müssen andere", meint er.
Tatsächlich ließ sich mit der Reiswette eine beachtliche Gewinnquelle anbohren. In nur drei Wochen kassierten die Anleger über 20 Prozent Gewinn. Die Zahl der in Chicago gehandelten Terminpapiere schoss in den vergangenen Tagen in die Höhe.
Doch die Kleinanleger kaufen nicht nur Spezialpapiere, sondern vor allem breitgestreute Rohstofffonds.
Jim Rogers, früher der Geschäftspartner von George Soros, ist der vielleicht bekannteste Investor in diesem Markt. Schon in den Neunzigern hat er sich auf Rohstoffe verlegt. Weltreisen haben ihn damals zu der Einsicht gebracht, dass es in einer globalisierten Wirtschaft an so gut wie allem mangelt, von Nickel bis Kakao.
Seither setzt er bis heute unverdrossen auf steigende Preise - und das hat Folgen für die ganze Branche. Denn sein Rohstoffindex ist Maßstab für zahlreiche Branchenfonds. Milliarden flossen in den vergangenen Jahren in diese Geldmaschinen: Sie müssen sich entsprechend an den Terminbörsen mit Future-Kontrakten eindecken, was die Preise weiter befeuert.
Nun warnt ausgerechnet er: "Wenn nicht bald etwas geschieht, werden wir erleben, dass Menschen überhaupt kein Essen kriegen, egal, zu welchem Preis. So etwas kennen wir nur aus den Geschichtsbüchern; ich fürchte, das könnte wieder passieren."
Aus seiner Sicht allerdings sind daran nicht Investoren wie er selbst schuld, sondern die Politik in den Schwellenländern: weil sie Exportverbote verhängen und die Preise deckeln. Das nehme den Farmern, die mit steigenden Kosten etwa für Sprit und Düngemittel zu kämpfen haben, jeden Anreiz, mehr Reis zu produzieren.
"Ich finde diese Haltung moralisch verwerflich", sagt Rogers. "Die Regierungen lassen lieber Menschen verhungern, als einen freien Preisanstieg zu erlauben." Nur so könne die Reisproduktion wieder anziehen.
Bauern würden ihren Reis nicht an Arme verschenken, sagt Rogers. Wie die Armen höhere Preise zahlen sollen, sagt er nicht. Dafür ist dann wahrscheinlich wieder die Politik zuständig.







http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,548840,00.html
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Zitat:S
teigende Lebensmittelpreise

Darum hungert die Welt

Von Lisa Louis

Die Vereinten Nationen warnen vor einer globalen Hungersnot riesigen Ausmaßes. Grund sind die steigenden Lebensmittelpreise. Doch wieso können manche Regionen sich dagegen schlechter wehren als andere? stern.de zeigt fünf betroffene Länder und ihre Hungergeschichte.

Die Welt befindet sich in einer Nahrungsmittel-Krise: Binnen eines Jahres sind die Lebensmittelpreise weltweit um 40 Prozent gestiegen. Desaströs ist das vor allem für ärmere Bevölkerungsschichten, die einen großen Teil ihres Einkommens auf Nahrung verwenden. Um sich gegen die Preissteigerungen zu wehren, gingen vielen Menschen in den vergangenen Wochen auf die Straße - zum Beispiel in Haiti, Kamerun, Burkina Faso und Ägypten.

Doch: Obwohl die steigenden Lebensmittelpreise allgemeine Gründe haben - laut UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ein Anstieg des Ölpreises, die Abwertung des Dollars und Naturkatastrophen - hat jedes Land seine eigene Hungergeschichte. stern.de hat fünf der Länder in Nahrungsmittelnot herausgepickt und beschreibt deren individuelle Hintergründe für die jeweils nationale Notlage.

http://www.stern.de/politik/ausland/:Ste...18121.html



....wie passt das zusammen?????
Uli
Antworten


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